Donnerstag, 6. Mai 2010

DIe Spieluhr

Ein weißer, hauchzarter Schatten streifte über seine Haut.
Die Kälte drang langsam, immer weiter in ihn hinein und umklammerte sein Herz.
Nur ein kurzer Augenblick, ein kleiner Moment und John Stewart würde sein Ziel für immer erreicht haben.
Mit Mühe dreht er seinen vor Kälte fast starren Kopf nach rechts.
"Gib mir dein Geld, du Bastard!"
Ach diese Menschen.
Er schloss die Augen und spürte die kalten Schneeflocken in seinem Gesicht.
"Bitte nicht! Ich hab eine kleine Tochter."
Selbst Schuld.
Welche krankhafte Ironie reitet Menschen nur wenn sie sich fortpflanzen?
Menschen sterben.
Menschen sind vergänglich.
Alles Gute ist vergänglich.
Sollte die Schlussfolgerung etwa sein Menschen seien gut?
Nein. Keinesfalls.
Menschen sind Tiere. Menschen sind seelenlos.
"Deine Uhr!"
Nicht einmal in Ruhe sterben konnte man also.
Die weiße Decke umschloss ihn immer weiter.
Wäre es nicht seine Pflicht als Polizist einzuschreiten?
Doch wozu? Wozu einer Gesellschaft dienen die Raubkopierer härter bestraft als Kinderschänder?
Wozu den Plan aufgeben, den er doch schon so lange hatte.
Der weiße Dunst drang in seinen Atem ein. War es nun soweit?
Kleine Stiche durchstachen immer wieder sein vor Kälte geschundenes Herz. Er sah sie noch einmal an und schloss die Augen für immer.
Sein Bewusstsein schwand.
Aus der Ferne vernahm er einen leisen Knall.
Nun würde die Tochter ohne ihren Daddy aufwachsen.
Was für eine Ironie.

"Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Raubüberfall, Chef."
"Mh."
"Ist irgendetwas?"
"Dieser Ort. Erkennst du ihn etwa nicht?"
"Doch, Sir... Hier ist es passiert oder?"
"Ja, genau hier war es. Hier hat Detective Stewart..."
"Sir!? Das... das sollten Sie sich ansehen."
"Oh mein Gott..."

"Und Sie haben sie so gefunden?"
"Ja, Sir."
"Sergeant Paul, diese Komission will ihre Ermitlungsarbeit keinesfalls in Frage stellen.
Doch aufgrund unserer Untersuchungen besagter Peron halten wir es für wichtig jede Einzelheit zu erfahren die Sie vor Ort vorgefunden haben."
"Vorrausgesetzt Sie als persönlicher Freund des Verstorbenen sind dazu in der Lage darüber zu reden."
"Das bin ich..."
"Dann nochmal: Was haben Sie gesehen als Sie zum möglichen Tatort gerufen wurden?"
"Es war kein Tatort... Es war ein Grab."
"Wie kommen Sie darauf?"
"Es war derselbe Ort an dem sich vor einem Jahr dieses abscheuliche Verbrechen zugetragen hat."
"Die Vergewaltigung und Ermordung von Detective John Stewarts Tochter."
"... Ja, Sir."
"Was haben Sie dort also gesehen?"
"Es war John. Nackt mit nichts als mit einem Foto seiner Tochter in der linken und einer Spieluhr in der rechten Hand."
"War das alles?"
"Auf seinem Bauch... war ein Brief festgetackert."
"Haben Sie ihn gelesen?"
"Ja."
"Was stand drin?"
"Es war eine Art Gedicht:
Ein kleiner Mensch stirbt nur zum Schein
Doch ihr Gewissen, das war rein.
Das kleine Herz stand still für Stunden.
So hat man es für tot befunden.
Es wird verscharrt in nassem Sand.
Mit einer Spieluhr in der Hand."
"... Gibt es sonst noch etwas, Stan?"
"Seine Tochter... Sie lag neben ihm."