Dienstag, 5. Mai 2009

Zu spät

Still saß Pet auf seinem Bett, die Hände gefaltet und gegen die Stirn gepresst. Es war ein warmer Tag, die Sonne schien hell zum Fenster rein und der Himmel war klar und blau.
Doch für ihn war es finster.
Er erinnerte sich zu gut an dieses Gespräch, dass er am liebsten auf der Stelle vergessen hätte.

Er stand mit seiner Freundin vor ihrer Haustür und sie unterhielten sich. Über nichts Besonderes. Mehr so allgemeine Phrasen wie man sie nach einer schönen Verabredung, der aber trotzdem irgendwas fehlte, erzählt.
„Es war ein schöner Abend.“, hatte er gesagt.
„Ja, das war es.“ Und das meinte Steffanie wirklich.
Und dann folgte Stille. Es war eine scheußliche, verhängnisvolle Stille.
Er sah sie an und sie sah ihn an.
Und genau dieser Moment, als sich ihre Blicke trafen, hätte aus jener scheußlichen Stille einen wunderbaren Moment machen können.
Er senkte den Blick...
„Na dann.... gute Nacht, schlaf gut.“
Und mit diesen Worten wollte er gehen. Er hatte es geschafft. Er verfluchte sich insgeheim und hätte sich am liebsten geohrfeigt. Wieder eine Gelegenheit ausgelassen zu sagen was er dachte.... zu tun was er sich fest vorgenommen und so sehr gewünscht hatte.
„Pet.... Warte bitte.“
Hoffnungsvoll hatte er sich umgedreht und gewartet was nun kommen würde. Würde sie ihm abnehmen, was ihn so lange quälte, würde sie nun den ersten Schritt tun, nachdem sie gemerkt hatte dass er dazu nicht fähig war?
„Ich.... es tut mir Leid Pet, aber... ich kann das nicht mehr. Seit einem Monat verabreden wir uns jetzt. Einen Monat, Pet! Nicht einmal bist du in dieser Zeit aus dir raus gekommen. Wir wissen beide, was du tun willst, wir wissen beide was du sagen willst, aber zum Teufel tu es auch! Sag es auch!“
Geschockt hatte er sie angestarrt.
Er wusste dass dieser Moment kommen würde wenn er nicht dass tun würde, was er sich zu tun fest vorgenommen hatte – bei ihrer ersten Verabredung schon. Doch es nun schon soweit war... wollte er einfach nicht glauben.
„Tut mir leid, Pet. Du bist ein netter Kerl, aber ich kann das so einfach nicht mehr. Ich will jemanden, der mir zeigt dass ich ihm was bedeute, der mir sagt dass ihm etwas bedeute und keinen der es mich nur erahnen lässt.“
...
Sprachlos. Er war einfach sprachlos. Seine ganze Welt stürzte über seinem Kopf zusammen und alles woran er geglaubt hatte, was er gehofft hatte, war für immer verschwunden.
„Nicht mal jetzt! Nicht mal jetzt schaffst du es zu sagen was du fühlst. Bitte Pet, geh jetzt einfach. Ich will.... ach, gute Nacht einfach.“
Dann war sie ins Haus gegangen.

Er schwor sich, würde er jemals noch einmal eine Chance bekommen, würde er sie nicht noch einmal enttäuschen. Beim nächsten Mal würde er sie küssen. Bevor sie etwas sagen konnte, bevor er etwas verderben konnte würde er sie küssen. Und was sie dann tut ist egal, aber er musste es einfach tun.
Dann hob er seinen Kopf und sah seinen Arm an. Er hatte nie daran geglaubt sich selbst aufzuschneiden um Probleme zu lösen. Insgeheim hielt er die Leute die so was taten sogar für schwach. Aber jetzt...
Er betrachtete die scharfe Klinge in seiner Hand. Er atmete ein und spürte den Herzschlag in seiner Brust, wie er viel zu schnell schlug und das Blut durch seine Adern schoss.
Dann setzte er die Klinge auf seine Haut und zog sie sich den Unterarm hoch. Es war ein befreiendes Gefühl als das Blut aus seinem Arm sickerte. Es war als würden alle seine Probleme langsam wegfließen und eine träge, fast schon gespenstische Ruhe umgab ihn.
Sein Herzschlag wurde langsamer und seiner Augenlieder schwerer. Dann sah er sich seinen Arm an. Er hatte während er den Schnitt gemacht hat an die Decke gestarrt, weil er einfach nicht glauben wollte, dass er wirklich seinen Arm aufschnitt.
Da war Blut. Viel Blut. Zu viel Blut!
Er griff nach einem T-Shirt das auf dem Boden lag und wickelte es fest um den Arm.
Dann rannte er ins Badezimmer und verband sich den Arm Gewissenhaft mit vielen Wundtupfern und Verbandszeug.
Er hatte es geschafft. Sein Arm blutete nicht mehr.
Langsam ging er die Treppe nach unten – er schwankte ein wenig – und öffnete die Tür zur Gartenterasse. Ihm war kalt, er wollte sich jetzt einfach in den Garten setzen und die Sonne genießen.
An Steffanie dachte er nicht mehr. Er dachte an nichts mehr. Er saß in dem Stuhl, hatte die Augen geschlossen und fühlte die angenehme und wohltuende Ruhe die ihn umgab.
„Hallo.“
Genervt öffnete Pet die Augen. Konnte er nicht wenigstens in seinem eigenen Garten ein wenig Ruhe haben?
Doch was er sah vertrieb jeden Anflug von Ärger im Nu. Ein Kind.
Ein Kind von 8 höchstens 9 Jahren.
„Hallo.“, antwortete er.
„Wer bist du? Ich hab dich hier noch nie gesehen.“
Das Kind sah sich verspielt um, als wäre seine Umgebung hoch interessant.
Dann antwortete es.
„Ich bin Kevin. Ich komme immer wieder mal her. Meistens allerdings nachts. Ich wollte Sie nicht stören.“
Verlegen guckte der kleine Junge zu Boden.
„Nein... nein hast du nicht. Willst du dich nicht setzen?“
Glücklich sah der Junge auf und setzte sich neben ihn.
Pet fröstelte. Der Junge hatte irgendwas Unheimliches an sich. Pet konnte allerdings beim besten Willen nicht sagen was.
„Warum kommst du denn eigentlich her?“
„Meine Familie hat hier früher gelebt und ich mag dieses Haus. Hier gibt es viel an das ich mich gerne erinnere.“
„Oh, das wusste ich nicht. Ich habe das Haus von einer Agentur gekauft, sie sagten mir nur die Familie wollte hier nicht mehr wohnen.“
„Ja, das stimmt, aber ich komme trotzdem gerne noch hierher.“
Der Junge wedelte mit den Beinen und sah sich immer noch voller kindlicher Energie um.

„Oh, was haben Sie denn mit ihrem Arm gemacht? Da ist ja ganz viel Blut.“
“Ja.“ Pet sah beschämt zu Boden. Dass er ausgerechnet einem Kind erzählen musste was er getan hatte widerstrebte ihm zutiefst.


„Ich habe mich geschnitten.“

„Mit einem Messer.“, fügte er dann schnell hinzu.
„Etwa absichtlich?“. Fragte der kleine Junge und sah ihn seltsam fragend an.
„Nun ich....“
Das schrille Geräusch der Türklingel nahm ihm die Antwort ab.
„Pet! Bist du da?“
Steffanies Stimme.
Pet sprang aus seinem Stuhl und rannte zur Tür. Nun würde er seinen Schwur umsetzen. Er hatte es sich vorgenommen und so würde er es auch umsetzen.
Er rannte zur Tür, riss sie auf und vor ihm stand sie. Pet wusste warum er sich so Hals über Kopf in sie verliebt hatte. Sie war einfach wunderschön! Ihr Haar glänzte in der Sonne, ihr Körper war schön geformt. Nicht zu breit aber auch nicht zu dünn, eben perfekt.
Schon nach den ersten paar malen bei denen sie miteinander zu tun gehabt hatten, war für ihn klar gewesen, dass er sich verliebt hatte. Und dann hatte es fast ein Jahr gedauert bis sie ernsthaft nahe an einer Beziehung waren. Und er hatte es geschafft diese Arbeit allein durch seinen Unmut zunichte zu machen.
Doch das würde sich jetzt ändern! Heute würde er zeigen, dass er ein Mann war, dass er Eier in der Hose hatte und dass er verdammt noch mal dazu in der Lage war!
Noch bevor sie ein Wort sagen konnte küsste er sie.
Es spürte wie seine Lippen, sie waren immer noch kalt, auf ihre warme Haut trafen.
Sie drehte sich um und ging.
Pet konnte es nicht fassen. Kein Wort, keine Reaktion, nicht einmal ein Zeichen, dass sie ihn bemerkt hatte.
„Steffanie warte!“
Er wollte ihr nachlaufen.
„Hast du es denn nicht verstanden Pet?“
Der kleine Junge, Kevin, stand auf einmal neben ihm.
Seine Stimme klang schwer und für so ein kleines Kind außergewöhnlich müde.
„Verstanden? Was denn verstanden?“
Der Junge seufzte.
„Sieh dich doch hier mal um. Sieh dir die Sonne an, den Wind und das Gras, merkst du es nicht?“
Pet blickte nach oben, direkt in die Sonne. Doch sie blendete ihn nicht, es war als wäre sie durch einen Schleier verhüllt worden. Dann blickte er aufs Gras. Es war grün, aber irgendetwas fehlte diesem Grün und auch der Wind den er auf der Haut spürte. Er war kalt, aber nicht kalt genug.

„Was... was ist hier los?“
Gequält blickte der Junge drein und holte ein Stück Papier aus der Tasche.


Es war ein Zeitungsartikel. Er reichte ihn Pet.
„Lies.“, forderte er nur.
Pet sah sich den Artikel an. Es war nur ein kurzer Nachruf einer Familie. Er überflog den Ruf nur. In solchen Artikeln stand sowieso meistens nur dasselbe.
„Den Namen. Lies den Namen.“, drängte Kevin ihn.
Kevin Weisbaum.
Pet stutzte. Seine Vormieter hießen Weisbaum und deren Sohn....
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
„Wie.... warum......“
„Du bist verblutet Pet. Der Schnitt war zu tief.“
Mitfühlend sah ihn der Junge an und seufzte abermals.
„Es tut mir Leid.“
„Nein… Nein! Ich muss ihr doch noch was sagen! Ich muss doch noch etwas tun!“
„Tut mir leid Pet, aber dafür ist es nun zu spät.“
„Aber ich muss.... ich muss doch noch....“
„Nein Pet! Es ist zu spät.“